In deiner Doktorarbeit hast du dich mit dem sogenannten „Platooning“ beschäftigt. Darunter versteht man, dass vollautonome und vernetzte Fahrzeuge einen Konvoi (Platoon) bilden und in diesem perfekt aufeinander abgestimmt fahren. Ursprünglich wurde Platooning für Autobahnen entwickelt, um die Straßen besser auszulasten, den Verkehr flüssiger und sicherer zu machen und weniger Emissionen zu verursachen. Du hast dich aber mit vernetztem Kolonnenfahren in Innenstädten beschäftigt. Was hat dich dazu inspiriert, in diesem Bereich zu forschen?
Ich habe im Masterstudiengang Vorlesungen, Seminare und Arbeiten über Fahrzeugnetze, Netzwerksimulationen und Mesh-Netzwerken gehört und geschrieben. Und durch meine Jobs als studentische Hilfskraft und berufliche Stellen nach dem Bachelor und Master bin ich immer sehr viel Auto gefahren – eine Stunde Fahrzeit war die Regel. Wenn man selbst durch Innenstädte fährt, ist das sehr unkomfortabel und nervig. Die Wahl meines Forschungsschwerpunktes war also auch von der intrinsischen Motivation beeinflusst, das eigene Leben in Bezug auf das Fahren potenziell einfacher zu machen.
Inwiefern? Wie kann Platooning in der Stadt das Leben einfacher machen?
Platooning ist ursprünglich eine Anwendung für die Autobahn, in diesem Bereich gibt es bereits relativ viel Forschung und Feldtests: Beim Platooning fahren die Fahrzeuge in sehr geringem Abstand zueinander, bei Autobahngeschwindigkeit oftmals um die fünf Meter. Durch diesen geringen Abstand zwischen den Fahrzeugen kann der Windschatteneffekt genutzt werden, d.h. jedes Fahrzeug fährt im Windschatten des Vordermanns. Gleichzeitig hat das vordere Fahrzeug keine turbulente Zone am Heck, die es zurückziehen würde. Lkw können so ewta 10 bis 15 Prozent Kraftstoff einsparen, was für eine Logistikkette schon enorm ist. Außerdem kann man durch die geringen Abstände deutlich mehr Fahrzeuge auf die Straße bringen. In der Fahrschule lernen wir, dass wir einen halben Tachoabstand einhalten sollen; bei 130 km/h sind das ungefähr 65 Meter, was praktisch gesehen eigentlich noch viel zu wenig ist. Wenn der Abstand zwischen den Fahrzeugen im Platoon aber nur 5 Meter beträgt, erhöht sich der Durchsatz auf der Straße enorm und durch die Koordination der Fahrzeuge untereinander würde der Verkehr deutlich flüssiger. Die sogenannten „Phantomstaus“ könnten vermieden oder deutlich reduziert werden. Wir kennen das alle: Einer bremst stark ab, der Hintermann bremst auch, und so geht es weiter. Diese Staus entstehen primär dadurch, dass die Abstände zu gering sind und extrem stark gebremst wird. Dieses Problem kann durch koordiniertes Fahren im Platoon gelöst werden.
Und das ist auch der Grund, warum Platooning – zumindest nach meiner ursprünglichen Vorstellung – auch in der Innenstadt sehr gewinnbringend wäre. Hier haben wir ein ähnliches Problem an den Ampeln. Wenn die Ampel auf Grün springt und die Fahrzeuge anfangen zu beschleunigen, kommt es zu Verzögerungen: Das erste Auto fährt los, das zweite mit ein bisschen Verzug, das dritte wieder mit einer Verzögerung und so weiter. So entstehen diese enormen Lücken, die dazu führen, dass die Straßen nicht effektiv genutzt werden. Würden die Autos aber in einem Platoon fahren, also in einem Konvoi mit nur kleinen Abständen, könnte der Durchsatz an einer Kreuzung erhöht, die Fahrtzeit verkürzt und der Kraftstoffverbrauch reduziert werden, weil man nicht mehr so oft an einer roten Ampel stehen müsste.
Eine sehr vielversprechende Idee. Hat sie sich bestätigt?
Am Anfang haben wir erst einmal untersucht, ob die Idee, Platooning in Innenstädten einzusetzen, überhaupt funktioniert. Dann hat sich herausgestellt: Wendet man das Ganze auf ein heute typisches Szenario an, das heißt eine einfache Standardampelschaltung, bei der Fahrzeuge kommen, einen Platoon bilden und losfahren, dann hat man eine Reisezeitverkürzung von knapp 17 Prozent. Auch der Kraftstoffverbrauch wird durch urbanes Platooning reduziert. Dieser liegt nach unseren Analysen ebenfalls bei rund 15 Prozent. Diese Reduktion ist nicht primär auf den Luftwiderstand zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass der Beschleunigungsvorgang vielleicht nur zwei- bis dreimal stattfindet und nicht fünf- bis sechsmal – weil die Fahrzeuge weniger oft an Ampeln anhalten müssen. Dies führt zu weniger energieintensiven Manövern.
Um bei all den Vorteilen einmal auf den Sicherheitsaspekt zu kommen: Angenommen, es passiert ein Fehler und die Fahrzeuge kollidieren, dann wäre das bei einem Abstand von wenigen Metern – im Vergleich zum halben Tachoabstand – fatal. Mit anderen Worten: Wenn es im Platoon kracht, dann richtig, oder?
Richtig, die heutigen Notbremsassistenten können das bei solch geringen Abständen nicht verhindern. Deswegen ist die drahtlose Kommunikation zwischen den Fahrzeugen im Platoon so wichtig: Platooning kann nur funktionieren, wenn die Fahrzeuge zuverlässig miteinander kommunizieren. Und das ist in der Stadt natürlich eine größere Herausforderung als auf der Autobahn: Auf der Autobahn hat man schließlich ein freies Feld, wo der drahtlose Austausch von Informationen oftmals möglich ist, sofern wir hier erstmal starke Interferenz ausschließen. In der Stadt ist das anders. Hier gibt es viele Hindernisse, die die Kommunikation der Fahrzeuge im Platoon stören können, zum Beispiel Gebäude, parkende Fahrzeuge, Bäume und andere Objekte. Wenn zum Beispiel ein Fahrzeug an einer Kreuzung mit Gebäuden abbiegt, ist der Informationsaustausch zwischen den Fahrzeugen nicht mehr zuverlässig möglich, das Platoon wird potenziell instabil und es kann zu Kollisionen kommen.
Deshalb habe ich untersucht, mit welchen innovativen Kommunikationsstrategien vernetztes Fahren im Platoon auch in Innenstädten zuverlässig garantiert werden kann.
Wie kommunizieren Fahrzeuge auf der Autobahn miteinander? Und inwieweit stoßen diese Kommunikationsverfahren beim urbanen Platooning an ihre Grenzen?
Beim Autobahn-Platooning gibt es Verfahren, bei denen Signale auf die Frontscheinwerfer modelliert werden. Das Licht des Frontscheinwerfers flackert dann extrem schnell – so schnell, dass es für das menschliche Auge nicht mehr wahrnehmbar ist. Dasselbe passiert mit den Rücklichtern. So kann das erste Fahrzeug in der Kolonne mit blinkenden Rücklichtern dem folgenden Fahrzeug sagen: „Ich bremse in 100 Millisekunden“. Mein erster Ansatz war: Wir nutzen diese Kommunikation auch für die Innenstadt. Das funktioniert auch sehr gut – solange, bis die Kolonne abbiegt. Dann hat das abgebogene Fahrzeug nicht mehr die perfekte Ausrichtung zum folgenden Fahrzeug und es kann passieren, dass Informationen verloren gehen. Eine typische Situation: Ich biege ab, ein Fahrradfahrer überquert die Straße und ich muss spontan stark bremsen. Wenn in einem Platoon diese Information nicht nach hinten weitergegeben werden kann, kann es zu Kollisionen kommen. Das darf natürlich nicht passieren. Daran sieht man, dass die Ansätze zur Kommunikation für Platooning auf der Autobahn im innerstädtischen Bereich nicht unbedingt direkt anwendbar sind.
Andere Standardverfahren setzen auf ein omnidirektionales Funksignal, also ein Senden in alle Richtungen: Dabei wird eine Antenne verwendet, wie man sie vom Router zu Hause kennt. Die Antenne „ruft“ Informationen in alle Richtungen. In einem Platoon geht es aber oftmals darum, nach hinten zu kommunizieren und dem Nachfolger mitzuteilen, was gerade passiert. Mit den heutigen Standardverfahren wird also auch in Richtungen „gerufen“, in denen sich niemand befindet. Das ist eigentlich Unsinn für Platooning als Anwendung.
Für das städtische Platooning sind also andere Verfahren erforderlich, damit die Fahrzeuge zuverlässig miteinander kommunizieren können. Welche innovative Kommunikationsstrategie hast du erforscht?
Unsere Kernidee war: Wir bündeln die Energie und strahlen sie genau in die Richtung ab, in der sich der Kommunikationspartner befindet. Wir benutzen also einen Trichter, der nach hinten „sendet“. Das funktioniert zunächst ganz gut, hat aber auch Nachteile, denn so ein Trichter ist extrem laut. Man kann sich das so vorstellen, als würde ich meinen Gesprächspartner mit einem Megaphon anbrüllen und die Leute um mich herum würden von dem eigentlichen Gespräch nichts mehr verstehen. Das muss verhindert werden. Wir haben experimentiert, wie man diesen Trichter so platzieren kann, dass er andere nicht stört. Die Quintessenz dieses Experiments: Der Trichter muss so angebracht werden, dass er andere Fahrzeuge nicht zu sehr stört. Eine möglichst tiefe Positionierung, z.B. auf Höhe der Front- und Rückleuchten, erwies sich als gewinnbringend. Auch bringt es Vorteile, wenn einer dieser Trichter zum Senden und ein zweiter zum Empfangen genutzt wird. Man hat dann ein sehr sensitives Hören und ein sehr lautes Rufen – und es zeigt sich, dass die Kommunikation mit diesem System nicht gestört wird. Man kann sich das so vorstellen, als würde mir mein Gegenüber direkt ins Ohr brüllen, dann höre ich einfach nichts anderes mehr.
In unseren Simulationen konnten wir auf diese Weise eine perfekte Kommunikation zwischen den Fahrzeugen ermöglichen, selbst wenn sich Hunderte von Fahrzeugen im Straßenverkehr „eingemischt“ haben. Gerade für eine sicherheitskritische Anwendung ist das sehr gut. Wir haben in verschiedenen Szenarien tatsächlich 100 Prozent der Informationen, die wir gesendet haben, auch empfangen können. Vergleichbare Ergebnisse haben wir bisher nicht in anderen Arbeiten gefunden.
Insbesondere beim Abbiegen und im Stau hat dieses gebündelte Senden einwandfrei funktioniert. Das war mit den bisherigen Ansätzen nicht möglich.
Eine weitere Fragestellung deiner Dissertation war, welches Potenzial die städtische Infrastruktur für die Koordination von Platoons hat. Was ist deine Quintessenz?
Meiner Ansicht nach ist es grundsätzlich sinnvoll davon auszugehen, dass Infrastruktur nicht unbedingt immer verfügbar ist. Ein Platoon sollte immer auch komplett infrastrukturlos funktionieren. Das heißt, dass die Fahrzeuge direkt miteinander kommunizieren, z.B. über W-LAN oder C-V2X (Cellular-Vehicle-to-Everything-Communication), was ein Teil von 5G ist und auch ohne Infrastruktur funktioniert. Wenn ich komplett auf Infrastruktur setze, wird Platooning nicht mehr funktionieren, wenn es hier zu einem Ausfall, einer Störung oder einer Überlastung kommt – beispielsweise bei großen Volksfesten, Fußballspielen oder ähnlichem. Eine statische Infrastruktur wäre auch mit sehr hohen Kosten verbunden. Es wäre aber denkbar, vorhandene Infrastruktur opportunistisch zu nutzen, d.h. wenn Infrastruktur vorhanden ist, dann nutze ich sie, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn sie nicht da ist, muss das System aber dennoch ausreichend gut funktionieren.
Deshalb war eine weitere Forschungsfrage in meiner Arbeit, Infrastruktur zukünftiger Smart Cities opportunistisch zu nutzen. Der Fokus lag hier auf der Nutzung von Drohnen zur Weiterleitung drahtloser Übertragungen von Fahrzeugen. Unsere Idee war, Drohnen zu nutzen, die ohnehin in der Luft sind. Platooning in der Innenstadt wird sich nicht von heute auf morgen realisieren lassen. Wenn man dann weiterdenkt, könnte es ja sein, dass man den Lieferverkehr in die Luft auslagert – also Drohnen einsetzt, um zum Beispiel Medikamente auszuliefern. Wenn die Drohnen sowieso schon da oben fliegen, kann man sie vielleicht auch dazu nutzen, die drahtlose Übertragungen von Fahrzeugen weiterzuleiten und den Kanalzugriff über mehrere Platoons zu koordinieren.
Können wir uns in den nächsten Jahren auf urbanes Platooning freuen?
Im Bereich Autobahn-Platooning wird seit vielen Jahren viel geforscht, aber es ist noch nicht reif für die Straße. Gerade Level 4 und Level 5, also das autonome Fahren komplett ohne jeglichen menschlichen Einfluss funktioniert - auch auf Autobahnen - noch nicht zuverlässig und ist rechtlich, zumindest in Deutschland, aktuell noch nicht so einfach möglich. Solange wir das gut erforschte Szenario auf Autobahnen nicht perfektioniert haben, wird sich im Stadtverkehr vermutlich nichts ändern, das ist noch viel zu gefährlich. Ein Blick in die Unfallstatistik zeigt, dass 70 Prozent der Unfälle innerorts passieren und nur 8 Prozent auf Autobahnen. Es gibt also ein deutlich höheres Sicherheitsrisiko, wenn ich in Innenstädten etwas autonom oder kooperativ fahren lasse. Von daher wird das vermutlich noch sehr lange dauern.
Siehst du Potenzial für weitere Forschung basierend auf deiner Dissertation?
Neben dem Einsatz von Drohnen könnten auch Satelliten für Fahrzeugkommunikation genutzt werden. Low Earth Orbit satellites, kurz LEO-Satelliten, bewegen sich in einer Höhe zwischen 160 Kilometern und knapp 2000 Kilometern, verzögern zwar die Kommunikation aufgrund dieser Entfernung, sind aber dennoch ein spannender Baustein für den gesamten Bereich der Fahrzeugkommunikation und auch für die Koordination mehrerer Platoons.
Spannend sind auch heterogene Kommunikationsansätze. Zum Beispiel die Signalübertragung über die Front- und Rückleuchten in Kombination mit einem W-LAN-Ansatz. Je nachdem, welche Technologie gerade besser geeignet ist, könnte zwischen diesen hin und her geschaltet werden.
Auch der Faktor Mensch ist weiter spannend. In Sachen Nutzerakzeptanz scheint aktuell noch verhältnismäßig wenig Arbeit geleistet worden zu sein. Letztlich nützt auch ein technisch ausgereiftes System nichts, wenn es am Ende niemand nutzen will.
Was sind die nächsten Schritte in deiner wissenschaftlichen Karriere?
Ich bin derzeit im Wissenschaftstransfer tätig und spreche viel mit Unternehmen, Partnern etc. über autonomes und vernetztes Fahren. Daraus haben sich schon viele interessante Kontakte ergeben, mit denen über mögliche gemeinsame Projekte gesprochen wurde und auch konkrete Projekte in Planung sind.
Auch das teleoperierte Fahren ist auch ein spannender Bereich, in dem ich in den letzten zwei Jahren aktiv war und in dem ich auch gerne weiterarbeiten möchte, vor allem praxisnah. Auch vernetztes Fahren oder teleoperiertes Fahren in der Landwirtschaft sind spannende Bereiche. Hier gibt es wieder andere Besonderheiten als auf der Straße und ich kann mir viele spannende und gewinnbringende Anwendungsfälle auf diesem Gebiet vorstellen.
Titel der Dissertation: „Cooperative Mobility in Urban Environments“, Kommission: Prof. Dr.-Ing. Christoph Sommer (TU Dresden, vorher Universität Paderborn), Prof. Dr. Claudio Ettore Casetti (Politecnico di Torino), Prof. Dr. habil. Gerhard Weber (TU Dresden), Prof. Dr.-Ing. habil. Martin Wollschlaeger (TU Dresden), Jun.-Prof. Dr. Verena Klös (TU Dresden)