Prof. Dr. Regina Bernhaupt ist Professorin für Qualitätsmessung und -analyse von dynamischen Real-Life-Systemen im Department „Industrial Design“ der Technischen Universität Eindhoven in den Niederlanden. Im Sommersemester 2021 übernimmt sie an der Universität Paderborn einen Lehrauftrag für User Experience Design. Seit mehreren Jahren arbeitet sie eng mit SICP-Geschäftsführer Dr. Stefan Sauer in der Leitung der IFIP Working Group 13.2 on Methodology for User-Centred System Design und der Organisation der Konferenzreihe Human-Centered Software Engineering zusammen. Er sprach mit ihr über ihre Forschung und die kommende Lehrveranstaltung.
Regina, Du beschäftigst Dich schon seit vielen Jahren mit empirischer Forschung im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion sowie Industrie- und Game-Design. Ein besonderer Schwerpunkt ist hierbei das Thema User Experience, kurz: UX. Wie hat sich das entwickelt und wie charakterisierst Du Deine aktuelle Forschung und ihre Wirkung in die Praxis?
Regina Bernhaupt: User Experience, also die Benutzererfahrung, war in der Software-Entwicklung immer schon prominent. 1988 erwähnten Forscher in einem Artikel, dass es sinnvoll wäre, dass Nutzer nicht nur schnell und effizient mit Software interagieren, sondern Spaß und Freude ein zentrales Element sein sollten. Es hat dann noch einmal fast 20 Jahre gedauert, bis dieser Begriff in den frühen 2000ern auch in der Forschung zentraler wurde.
Heute ist User Experience ein zentrales Designelement und wir haben einige Kernkonzepte in der Forschung evaluiert, die für eine positive User Experience zentral sind. Die Emotion des Benutzers – nehmen wir das Beispiel der Spiele, da ist das einfach erklärt: Das reicht von der Vorfreude auf die neue Spielekonsole, über das völlige Absorbiert-sein in das Spiel mit all dem emotionalen Auf und Ab, wenn wir gewinnen oder verlieren, bis hin zu langfristigen Effekten, die unser Wohlbefinden und die Ausgeglichenheit beeinflussen können. Ein anderer Faktor ist die Ästhetik, nicht nur weil eine Benutzeroberfläche schön gestaltet ist, sondern weil all meine Sinne zufriedengestellt werden. Produkte müssen sich gut anfühlen, die Interaktion muss angenehm sein.
Und was beschäftigt Dich aktuell besonders?
Bernhaupt: Seit fünf Jahren beschäftigen wir uns auch mit den Werten der Menschen und wie verschiedene Werte zu anderen Anforderungen führen. Im vergangenen Jahr hat diese Forschung wesentlich mehr Bedeutung bekommen, da wir alle mit massiven Werteverschiebungen konfrontiert sind: Wie stehe ich dazu, die Gesellschaft zu unterstützen, auch wenn mich das individuell einschränkt? Ich persönlich habe die letzten 365 Tage am gleichen Ort verbracht – verglichen mit Jahren, an denen ich nicht mehr als fünf Tage am gleichen Ort war. Kann ich also viel einfacher nachhaltig leben, als ich dies vor der Pandemie gedacht habe? Diese starken Werteverschiebungen werden in den nächsten Jahren zentral für das User Experience Design sein und sich in neuen Anwendungen der Technologie widerspiegeln. Wir sehen hier in den Niederlanden gerade eine massive Verstärkung von „Digital Twins“, also digitalen Abbildern realer Systeme, ja ganzer Städte. Diese digitalen Varianten werden es ermöglichen, Produktionen verstärkt online zu kontrollieren und neue Designs wie zum Beispiel Messsysteme in Städten zum CO₂-Ausstoß vorab zu simulieren und mit den Bewohnern auszuprobieren, bevor sie teuer gebaut und umgesetzt werden.
Meine Arbeit fokussiert aktuell stark auf diese Werteverschiebungen und wie wir die nötigen Methoden erarbeiten können, um werte-orientierte Services und Produkte umzusetzen und dann auch ihren Erfolg zu messen. Mein zentrales Ziel wird jedoch weiterhin sein, Menschen glücklicher zu machen, wenn sie mit Technologie interagieren.
Was ist typisch für Deine Lehre an der TU/e und unterscheidet sie sich in einem Department für Industrial Design von dem, was wir in der Informatik gewohnt sind?
Bernhaupt: Die Fakultät Industrial Design an der TU/e hat in der Lehre in den letzten 20 Jahren mit ihrem einzigartigen „Squad“-Konzept neue Formen der Lehre vorbereitet. Aktuell arbeiten alle unsere Designstudierenden ab dem zweiten Bachelorjahr in Squads – also Themenbereichen, in denen Studierende Problemstellungen aus der Industrie oder Forschung bearbeiten. Heute wird das unter dem Begriff „Challenge-based Learning“ stark eingesetzt. Die Kompetenzen, die wir Studierenden im Industrial Design vermitteln, sind natürlich andere als in der Informatik. Zentrale Kenntnisse wie Kreativität und Ästhetik oder Business und Entrepreneurship finden sich in der Informatik oft weniger. Design heute hat aber Technologie und die Fähigkeit, diese ein- und umzusetzen als zentralen Fokus, d. h. unsere Design-Studierenden müssen sich auch mit Arduino Prototyping oder Datenbanken und AI-Methoden auseinandersetzen. Ein personalisiertes Servicedesign setzt da ein gutes Verständnis von Machine Learning oder Recommendation Engines voraus.
Was erwartet die Studierenden der Universität Paderborn in der Veranstaltung „User Experience Design“?
Bernhaupt: Die Veranstaltung wird sich am Challenge-based Learning orientieren und vermittelt die Kenntnisse, um User Experience erfolgreich in einem Service oder Produkt zu manipulieren und umzusetzen. Wenn eine Veranstaltung User Experience im Titel hat, dann ist natürlich auch die Erfahrung der Studierenden wichtig. Auch wenn in akademischen Kreisen „Spaß“ in einer Lehrveranstaltung eher verpönt ist – ich glaube, dass Lernen Spaß machen soll und dass wir uns mit Spaß und Freude auseinandersetzten müssen, um Produkte zu entwickeln, die eine positive Experience habe. Für die Lehre erwartet die Studierenden eine „Flow Experience“. Wir werden die Fähigkeiten der Studierenden gemeinsam entwickeln und sie an Herausforderungen testen. Und wie das bei Spielen der Fall ist – die Balance zwischen Herausforderung und Fähigkeiten ist ein zentrales Element, um verschiedene Emotionen auszulösen. Wir werden also mit vielen kleinen Beispielen Einsicht in zentrale User-Experience-Designelemente nehmen und die Studierenden müssen sich einer Challenge stellen.
Was musst Du aufgrund der COVID-19-Pandemie anders machen als Du es ohne die damit verbundenen Beschränkungen gemacht hättest?
Bernhaupt: Die virtuelle Variante der Lehre stellt uns auch nach einem Jahr Online-Kursen immer wieder vor Herausforderungen. Ein Beispiel ist die praktische Übung zum Flow-Prinzip: Studierende mussten im Klassenraum auf einem Blatt Papier ein Spiel spielen, wie „Stadt, Land, Fluss“ oder das berühmte „Hangman“. Und dann sollte das Spiel abgeändert werden, um zum Beispiel mehr Spaß zu machen. Ich habe Wochen gebraucht, um hier Beispiele zu finden, die auch virtuell mit vielen Studierenden vor der Kamera funktionieren. Die Emotion im Klassenraum, wenn Leute ihre Kinderspiele wiederentdecken und spielen, ist etwas, das sich nicht wirklich virtuell umsetzen lässt. Diese Einschränkung ist sehr einfach vermittelbar und für jeden spürbar – und wir werden uns in der Lehrveranstaltung dem einfach stellen: Wie können wir User Experiences umsetzen, auch wenn die soziale Verbundenheit im physischen Raum nicht vorhanden ist. Oder wie die Redensart sagt: Es hat alles seine Vorteile und Nachteile.
Neben Deiner Professur an der TU/e bist Du weiterhin Forschungsdirektorin bei Ruwido Austria. Was machst Du dort und wie geht das mit Deiner Universitätsarbeit zusammen?
Bernhaupt: Ruwido Austria ist ein Hersteller für Interaktionslösungen, speziell Fernbedienungen, die auch in Österreich produziert werden. Ruwido ist zentral für meine Forschungsarbeiten, da ich hier meine Methoden und Ansätze zur User Experience auch wirklich ausprobieren und umsetzen kann. In den vergangenen Jahren war hier vor allem die Sprache zentrales Thema – und wie Sprachinteraktion die Kontrolle im Wohnzimmer verändert. Heute sind es vor allem die Werte, die sich in der Gesellschaft verändern, und wie neue Unterhaltungsangebote an diese Werte angepasst werden sollen.
Wie Du weißt, geht es dem SICP im Kern um die Kooperation von Wissenschaft und Unternehmen zur Erforschung und Entwicklung digitaler, daten- und softwarebasierter Innovationen. Du kennst beide Seiten. Welche Tipps kannst Du uns aus Deiner Erfahrung heraus geben?
Bernhaupt: Mein zentraler Tipp ist es, immer einen „Übersetzer“ im Team zu haben, eine Person, die zwischen Technologie und Anforderungen der Benutzer übersetzt. Ideal sind hier Absolventen mit einem Schwerpunkt in Mensch-Maschine-Interaktion. So können Innovationen, aber auch neue Designideen vorangetrieben werden, die sonst oft als nicht machbar gelten.
In meinen Projekten geben wir dem Design und der Evaluierung der Benutzerbedürfnisse eine zentrale Rolle, damit haben wir viele Produkte wesentlich benutzerfreundlicher und innovativer umsetzen können als andere.
Weitere Informationen zu Regina Bernhaupt: https://www.tue.nl/en/research/researchers/regina-bernhaupt/