Um maßgeblich zum Erfolg der Energie- und Mobilitätswende in Deutschland beizutragen, untersucht der SICP – Software Innovation Campus Paderborn gemeinsam mit einem Konsortium aus Forschung und Wirtschaft im Rahmen des Verbundprojekts FLEMING (Flexible Monitoring- und Regelsysteme für die Energie- und Mobilitätswende im Verteilnetz durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz), wie Predictive Maintenance in bestehenden Energieverteilnetzen durch die Verwendung von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zusammen mit einer Erweiterung der Sensortechnik umgesetzt werden kann.
Die Energie- und Mobilitätswende hat längst in Deutschland Einzug gehalten und beeinflusst Privatpersonen, Forschung, Wirtschaft und Politik in ihren täglichen Entscheidungen. Doch durch die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien auf der einen und stärker werdende Lastschwankungen durch die steigende Zahl von Elektroautos auf der anderen Seite, sind die bestehenden Energienetze und Betriebsmittel sehr großen Belastungen ausgesetzt. Um die Ziele der Energie- und Mobilitätswende bei gleichbleibender Versorgungsqualität zu erreichen, benötigen Verteilnetzbetreiber ein verbessertes Verständnis des aktuellen Zustands ihres Netzes sowie der Netzkomponenten, sogenannte Assets. Bisher ist das Netz – vor allem im Mittelspannungsbereich – jedoch kaum digitalisiert. Durch die Installation zuverlässiger und leicht nachrüstbarer Sensorik sowie die permanente Überwachung (Monitoring) der Assets wie Schaltschränke und Schutzschalter, die maßgeblich zur Versorgungsqualität beitragen, können mithilfe von KI potenzielle Schäden und Anlagenausfälle frühzeitig vorhergesagt werden. Dieses Vorgehen wird als Predictive Maintenance (prädiktive Instandhaltung) bezeichnet und führt dazu, dass Energieversorger die Wartung und Instandhaltung durchführen können, bevor es zu einem Ausfall kommt. Dennoch kann so die maximale Lebensdauer der Assets ausgereizt werden, da feste Wartungsintervalle entfallen.
Genau an dieser Stelle setzt das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderte Projekt FLEMING an, dessen Ziel es ist, die Art und Weise des heutigen Sensoreinsatzes in Verteilnetzen durch die Verwendung von Methoden der KI gepaart mit einer Verbesserung der zugehörigen Sensortechnik zu revolutionieren. Konsortialführer des Projekts ist das ABB Forschungszentrum Deutschland. In Zusammenarbeit mit den geförderten Partnern SICP, FIR e.V. an der RWTH Aachen, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Heimann Sensor GmbH sowie den assoziierten Partnern Städtische Werke Überlandwerke Coburg GmbH (SÜC) und WestfalenWIND trägt das Projekt wesentlich zum Erfolg der Energie und Mobilitätswende in Deutschland bei.
Der SICP ist im Projekt mit Mitarbeiter*innen vertreten, die maßgeblich in zwei wichtigen Bereichen des Projekts mitwirken: Zum einen an der Entwicklung von Geschäfts- und Prozessmodellen zur Dienstleistungserbringung, der sich der Kompetenzbereich Digital Business widmet, und zum anderen an Einsatzmöglichkeiten von KI zur Prädiktion bestehender oder aufkommender Gefahrensituationen, vertreten durch den Kompetenzbereich Smart Systems.
Innovative Erbringung von Dienstleistungen
Damit die Umsetzung von Predictive Maintenance im Verteilnetz gelingen kann, müssen alle beteiligten Systeme im Rahmen einer integrativen Lösung berücksichtigt werden. Die systematische Entwicklung eines solchen digitalen Dienstleistungssystems verläuft laut DIN-SPEC 33453 in drei Phasen, an welchen sich das Projekt orientiert: Analyse, Gestaltung und Implementierung. Zunächst wird im Rahmen der Analysephase der aktuelle Ist-Zustand der Netzbetreiber aufgenommen. Derzeit arbeiten viele Netzbetreiber mit einem Geoinformationssystem (GIS) sowie einem Enterprise Resource-Planning (ERP)-System, um die Wartung und Instandhaltung der Assets zu planen, durchzuführen und zu dokumentieren. Der Energienetzbetreiber als Dienstleistungskunde benötigt für das Monitoring der Netzkomponenten ein umfassendes Informationssystem, welches bestehende Systeme integriert und die Interaktion mit den Services des Dienstleistungsanbieters, wie z. B. Warnungen im Falle von bevorstehenden Ausfällen, ermöglicht. Auf Basis von Interviews mit verschiedenen Netzbetreibern wurden im Rahmen des Projekts Anforderungen an ein solches System aufgenommen und als Design-Prinzipien formuliert. Auf Basis dieser Prinzipien erfolgt nun in der Gestaltungsphase das Design eines umfassenden Systems, welches sowohl die KI im Rahmen eines Machine-Learning-Systems (MLS) als auch ein GIS sowie ein ERP-System beinhaltet. Das MLS ermöglicht es, die Daten der Sensoren auszuwerten und Vorhersagen über mögliche Ausfälle zu tätigen. Im GIS können mithilfe von Kartendarstellungen Assets visualisiert und räumliche Zusammenhänge, z. B. mit Wetterereignissen oder Verschmutzung, analysiert werden. Im ERP-System werden die Stammdaten der Assets gepflegt und Aufträge für die Wartung und Instandhaltung automatisch bei einer Meldung des MLS erzeugt.
Im Rahmen des Projekts fanden wir heraus, dass das GIS eine wichtige Grundlage für die Analyse von Standortdaten für die Wartung von Komponenten in kritischen Infrastrukturen, wie dem Verteilnetz, sein kann. Obwohl ein ähnliches System auch ohne GIS entwickelt werden kann, wurde im Rahmen des Projekts festgestellt, dass die Verwendung von Geodaten zu einem höheren Nutzwert führt. Geodaten zu unbeweglichen Objekten – z. B. Netzkomponenten – sind häufig verfügbar, auch wenn sie in zustandsorientierten Instandhaltungssystemen nur selten berücksichtigt wurden. Zudem konnten
wir Services, die GIS nutzen, aber nicht zwangsweise lokationsbasiert sind, systematisch konzeptualisieren. Die Kernergebnisse des Projekts innerhalb der Gestaltungsphase sind ein Architekturmodell für das zu entwickelnde Informationssystem, ein Datenmodell, welches sowohl das MLS als auch das GIS und das ERP-System berücksichtigt und Prozessmodelle zu den bisherigen Geschäftsprozessen, welche sich durch die Gestaltung der digitalen Dienstleistung maßgeblich verändert haben. Anhand der entwickelten Ergebnisse gehen wir davon aus, dass das von uns vorgeschlagene System Fehlfunktionen von Anlagen präventiv und automatisch erkennt und meldet, was zu einer frühzeitigen Warnung führt, um Ausfälle zu vermeiden und die Ausfallzeiten kritischer Anlagen zu verringern. Da eine permanente Zustandsüberwachung kritischer Anlagen unter Verwendung von Daten mehrerer Sensoren mehr Wissen über den aktuellen Zustand der verschiedenen Anlagen liefert, können die Intervalle der regelmäßigen Wartungszyklen zudem gestreckt werden.
Um zu prüfen, wie vorteilhaft das von uns konzipierte System für Dienstleistungskunde und -anbieter ist, soll in einer weiteren Analyse-Phase das System hinsichtlich der Kundenzufriedenheit und Zahlungsbereitschaft untersucht werden. Schließlich soll im Rahmen der Implementierungsphase ein Prototyp entwickelt und bei einem der Projektpartner implementiert werden.
Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz
Für die innovative Erbringung der Dienstleistung sind funktionierende KI-Modelle essentiell. Ein Ziel dieses Projekts ist es daher, Schaltanlagen digital verfügbar zu machen, ohne die Anlage selbst im Betrieb zu behindern oder Gefahrenquellen zu erzeugen. Daher haben wir uns dazu entschieden, Infrarotbild-Kameras an verschiedenen Stellen von Schaltanlagen zu installieren, welche von der Heimann Sensor GmbH speziell für diesen Zweck entwickelt werden. Die Infrarotbilder werden genutzt, um Temperaturen in diesen verschiedenen Bereichen von Anlagen abzulesen.
Die Temperatur ist deswegen so wichtig, da es ab 120°C gefährlich wird, eine Schaltanlage weiter im Betrieb zu belassen und diese dementsprechend abgeschaltet werden sollte. Diese Problemstellungen sind besonders spannend, da ein paar wenige Infrarotbild-Kameras nicht das gesamte Innenleben einer Schaltanlage abbilden können. So kann es durchaus vorkommen, dass sich z. B. eine lose Schraube in einem Bereich befindet, der von keiner Kamera erfasst wird. Hierbei besteht die besondere Herausforderung darin, in den Infrarotbildern dennoch Anzeichen für einen solchen Defekt ausfindig zu machen. Hierzu wird an verschiedenen KI-Modellen gearbeitet: von diagnostischen Methoden zur Fehlerdetektion oder zur Klassifizierung verschiedener Temperaturzustände, bis hin zu prognostischen Methoden zur Vorhersage eines zukünftig auftretenden Fehlers oder des baldigen Überschreitens eines kritischen Temperaturwertes.
Um datengetriebene KI-Modelle entwickeln zu können, werden Daten benötigt, bei denen unter Laborbedingungen Schaltanlagen über mehrere Stunden in Betrieb genommen wurden. Dabei wurden sowohl vollständig gesunde Systeme aufgezeichnet als auch verschiedene Fehler provoziert, um das Verhalten der Anlage in möglichst vielen verschiedenen Situationen abzubilden. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Erkennung von Fehlern sowie eine Bestimmung der aktuell höchsten Temperatur in der gesamten Anlage allein aufgrund von Infrarotbildern durchaus möglich ist.
Eine besondere Herausforderung besteht darin, auch Schaltanlagen mit reduzierter Auslastung zuverlässig berücksichtigen zu können. Tatsächlich ist es eher Regel als Ausnahme, dass Schaltanlagen mit deutlich reduzierter Stromlast (30 – 50 %) in Betrieb sind. Die Herausforderung ergibt sich dadurch, dass sich die Anlage bei reduzierter Last nicht so sehr aufheizt und die Infrarotbilder dementsprechend weniger starke Hotspots aufweisen.
Große Veränderungen benötigen interdisziplinäre wissenschaftliche Kooperation
FLEMING ist ein umfassendes Projekt, das von der Anforderungsanalyse, der Sensorentwicklung, über die Erzeugung sowie Auswertung von Labordaten, bis hin zur Entwicklung von Geschäftsmodellen Kernaspekte aus verschiedenen wissenschaftlichen, technologischen und betrieblichen Themengebieten umfasst. Dabei bringt jeder Kooperationspartner seine jeweilige Expertise in das Projekt ein und trägt somit maßgeblich zum Erfolg der Energiewende bei.
Weitere Informationen: www.projekt-fleming.de