Prof. Dr. Mar­tin Schnei­der im In­ter­view

Martin Schneider ist Professor für Personalwirtschaft an der Universität Paderborn. Er ist Mitglied des SICP, des NRW-Forschungsschwerpunkts „Digitale Zukunft“ sowie des NRW-Forschungskollegs „Arbeit 4.0“. Mit seinem Forschungsprogramm „Sozioökonomik der Personalwirtschaft“ untersucht er, wie technologische und gesellschaftliche Bedingungen die Personalwirtschaft beeinflussen. Zu seinen Forschungsthemen zählen Crowdworking, Büroarchitektur sowie neue Formen der Wissensarbeit.

Viele Menschen haben die digitale Transformation aufgrund der COVID-19-Pandemie deutlich schneller und „von jetzt auf gleich“ hinter sich bringen müssen. Wie gestaltet sich vor diesem Hintergrund das Thema Arbeit 4.0 in Bezug auf Vernetzung, Digitalisierung und Flexibilität?

Martin Schneider: Dass die Pandemie in Deutschland, bei aller Kritik, insgesamt gut bewältigt worden ist, liegt auch daran, dass die Entscheidungsträger(innen) und die systemrelevanten Mitarbeiter(innen) vor Ort instinktiv agile Prinzipien angewendet haben. Sie müssen ihr Vorgehen ja ständig an die neue Lage anpassen. Die meisten sogenannten Wissensarbeiter(innen) gelten interessanterweise nicht als systemrelevant. Für sie fallen die Folgen der Krise sehr unterschiedlich aus. Unter dem Stichwort „Arbeit 4.0“ werden auch neue Formen selbständiger, freiberuflicher Wissensarbeit diskutiert. Wir wissen wenig dazu, wie es den vielen Soloselbständigen zurzeit geht – manche dürften sich gerade wünschen, regulär beschäftigt zu sein, denn dann bekämen sie das vergleichsweise großzügige Kurzarbeitergeld. Aber andererseits hat die Digitalisierung einen Schub bekommen, der nach der Pandemie spürbar bleiben wird. Plötzlich lernen viele, wie man sich virtuell vernetzen und online zusammenarbeiten kann. Zudem ist das Arbeiten zu Hause für viele Wissensarbeiter(innen) zum Alltag geworden und es funktioniert wohl besser als gedacht. Im Jahr 2018 gaben in einer Befragung noch zwei Drittel der Beschäftigten an, sie würden nicht zu Hause arbeiten, weil ihre Vorgesetzten auf ihre Anwesenheit Wert legen. Die Pandemie könnte helfen, solche Vorbehalte gegen mobiles Arbeiten abzubauen. Inzwischen werden auch Dienstwege verkürzt und es wird auf die ein oder andere Unterschrift verzichtet. Wenn die Qualität der Entscheidungen nicht leidet, kann das zu schlankeren Prozessen in den Unternehmen führen. Insgesamt erzwingt also die Pandemie Formen von Wissensarbeit, die unter dem Stichwort „Arbeit 4.0“ diskutiert werden. Allerdings heißt Arbeit 4.0 auch, dass man im Team neue Ideen entwickelt. Hierzu ist es wichtig, dass sich die Mitarbeiter(innen) kennen und spontan austauschen können. Bürolandschaften und Coworking-Bereiche werden wichtig bleiben.

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Arbeitswelt zeigen, dass neue Arbeitsmodelle möglich sind und rasch angenommen werden können. Welche innovativen Arbeitsmodelle werden in der Zukunftsmeile 2 (ZM2) realisiert?

Schneider: Dass die Zukunftsmeile 2 so gut angenommen wird, zeigt ja, wie wichtig das gemeinsame Arbeiten ist. Hier kommen Studierende, Wissenschaftler(innen) und Unternehmensmitarbeiter(innen) mit unterschiedlichen Kompetenzen und Wissensbeständen zusammen. Dadurch entstehen neue Ideen und oft auch neue Produkte und Forschungsergebnisse. Die ZM2 ist also ein Ort offener Innovation. Das ist für Unternehmen attraktiv, weil sie von Grundlagenwissen profitieren und vermutlich auch unter den Studierenden rekrutieren können. Wenn sie ihren eigenen R&D-Mitarbeiter(innen) zeitweise eine andere Arbeitsumgebung bieten, ist das für diese auch eine Form des flexiblen Arbeitens. Allein der Tapetenwechsel kann inspirierend sein. Hinzu kommt, dass man von manchen administrativen Prozessen womöglich entlastet wird. Das Gebäude sorgt im Übrigen dafür, dass sich die genannten Vorzüge im Arbeitsalltag auch einstellen. Design-Thinking-Workshops, Team-Meetings und Konferenzen sind möglich. Man trifft sich spontan, kann sich aber auch zu konzentriertem Arbeiten zurückziehen.

Die Verschiebung von Anforderungen und Ansprüchen an den eigenen Arbeitsplatz macht sich besonders bei den sogenannten Millennials bemerkbar. Eine ausgewogene Work-Life-Balance und eine angenehme Arbeitsumgebung sind vermehrt zu Bedingungen einer neuen Arbeitsstelle geworden. Wie werden diese Anforderungen in der Gestaltung der ZM2 berücksichtigt?

Schneider: Mit Katharina Radermacher habe ich in den vergangenen Jahren untersucht, welche Bedeutung die Gestaltung von Bürolandschaften für das Employer Branding haben kann. Gemessen an den Ergebnissen, haben die Planer(innen) der Zukunftsmeile 2 vieles richtig gemacht. Das Gebäude entspricht dem harmonisch-modernen Bürotyp. In wissensintensiven Branchen finden sich daneben noch ein klassisch-solider Typ wie etwa das Deutsche Bank-Gebäude in Frankfurt am Main und ein Spaß-Typ wie etwa das Googleplex im Silicon Valley. In unserer großen Befragung zeigt sich, dass die Arbeitgeberattraktivität am höchsten ist, wenn die Befragten in einem harmonisch-modernen Bürogebäude wie der ZM2 arbeiten können – das gilt für Studierende wie für Personen mit Berufserfahrung. Das hat uns überrascht, wir hätten zumindest bei den Millennials damit gerechnet, dass sie die Spaß-Architektur vorziehen. Doch auch sie denken, dass Gebäude wie die ZM2 besser die Produktivität fördern, und sie assoziieren mit diesem Architekturtyp eine hohe Innovations- und Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Einen Arbeitsplatz in der ZM2 anzubieten, kann also ein gutes Argument im Vorstellungsgespräch sein. Das architektonische Arrangement der ZM2 dürfte tatsächlich förderlich für Kreativität und Produktivität sein. Es ist sicher kein Zufall, dass die ZM2 optisch dem Microsoft-Gebäude in München nachempfunden ist – das als vorbildlich gilt, um kreative Wissensarbeit zu ermöglichen. Für die verschiedenen Formen des Arbeitens wird je ein eigenes Angebot gemacht. Für das individuelle Konzipieren gibt es Büros, für das Ausprobieren Labore und für Team-Events eigene Räume verschiedenster Art. Weil harte Denkarbeit auch Erholung erfordert, brauchen gute Bürolandschaften auch ansprechende Räume zum Verweilen wie etwa gemütliche Loungeecken mit Kaffeemaschine oder Flächen mit Tischtennisplatten. Hier sind Unternehmen wie Microsoft allerdings sicher etwas mutiger als die Planer(innen) der ZM2. Gerade entdeckt man, dass auch unregelmäßige Architekturformen und Ausblicke aus den Büros auf die Natur sowie die Farbgestaltung in den Büros die Kreativität beeinflussen. Nach diesen Kriterien schneidet die Zukunftsmeile 2 wiederum sehr gut ab. Damit kann man hier nicht nur effektiv arbeiten, sondern auch in einer angenehmen Atmosphäre. Das kann dazu führen, dass die Mitarbeiter(innen) eine bessere Work-Life-Balance wahrnehmen. Allerdings hängt diese natürlich nicht nur vom Gebäude ab, sondern wesentlich auch von der Arbeitsbelastung und davon, wie viel die Mitarbeiter(innen) auch in ihrer Freizeit erreichbar sein sollen.

Wird Homeoffice auch in Zukunft ein Thema in der Arbeitswelt sein oder geht es zurück in den „alten“ Büroalltag?

Schneider: Homeoffice oder besser: mobiles Arbeiten wird ein Thema bleiben. Wir entdecken ja gerade, dass es funktionieren kann. Mobiles Arbeiten reduziert die Zeiten, die man im Auto oder Bus verbringen muss, und senkt damit auch den CO2-Ausstoß. Viele können den vielen Verpflichtungen des Privat- und Berufslebens besser nachkommen. Und auch wenn viele im erzwungenen Homeoffice während der Coronakrise merken, dass es manchmal schwierig ist, sich selbst zu Hause zu motivieren und zu disziplinieren: Den Studien zufolge ist die Produktivität beim freiwilligen mobilen Arbeiten nicht niedriger, oft sogar höher als beim Arbeiten im Betrieb. Auf die Details der Aufgabe dürfte es allerdings stark ankommen. Eine bekannte Studie zeigt zum Beispiel, dass Call-Center-Mitarbeiter(innen) von zu Hause sogar produktiver arbeiteten als im Call-Center. Hier waren die Aufgabe und die Technologie identisch und die Mitarbeiter(innen) wurden zu Hause genauso in ihrer Leistung vermessen wie im Betrieb. In anderen Fällen arbeiten die Mitarbeiter(innen) in weniger strukturierten Aufgaben, aber hochmotiviert auf ein Ziel hin. Wenn sie ein Konzept schreiben, gelingt ihnen das zu Hause oft besser, weil sie ungestört arbeiten können – erst die Abwesenheit von Störungen ermöglicht echte Denkarbeit. Problematisch könnte es jedoch sein, wenn die Arbeitsziele unklar sind. Dann sind die Mitarbeiter(innen) womöglich nicht so effektiv; hieraus speisen sich die Vorbehalte mancher Vorgesetzter gegen das Homeoffice und die daraus resultierende Anwesenheitskultur in vielen Büros. Die Universitäten sind ja nicht immer fortschrittlich, doch als Modell für produktive Wissensarbeit können sie durchaus dienen. Wie viele andere Wissenschaftler(innen) bin ich in Nicht-Corona-Zeiten vier Tage im Büro, aber meist nicht volle acht Stunden. Zum Schreiben und Konzipieren komme ich eigentlich nur zu Hause. Einem solchen Modell, das mobiles Arbeiten mit Anwesenheit im Büro kombiniert, bei hoher zeitlicher Flexibilität, dürfte auch in vielen Unternehmen die Zukunft gehören.

Gegen ein flächendeckendes mobiles Arbeiten von mehr als zwei Tagen in der Woche sprechen ohnehin wichtige Gründe. Empirisch zeigt sich, dass in Deutschland die meisten Menschen, die technisch gesehen zu Hause arbeiten könnten, aber es noch nicht tun, dies auch gar nicht wollen. Sie fürchten vielleicht fehlende Selbstdisziplin und würden die sozialen Kontakte im Betrieb vermissen. In der schon erwähnten Call-Center-Studie konnten die Mitarbeiter(innen) in einem Pilotprojekt an vier von fünf Tagen zu Hause arbeiten. Die Hälfte von ihnen hat sich nach neun Monaten entschieden, wieder ganz ins Büro zurückzukehren. Zweitens müssen sich Mitglieder eines Teams regelmäßig sehen. Die Zusammenarbeit klappt zurzeit in vielen Unternehmen gut, weil die Teams vorher gut eingespielt waren. Die virtuelle Produktivität lebt also gerade von der Substanz, die in Anwesenheitszeiten aufgebaut worden ist. Um neue Ideen zu entwickeln, Mitarbeiter(innen) einzuarbeiten und eine kooperative Kultur zu pflegen, wird es nach Corona wieder wichtig werden, in den Büros und Laboren zusammenzukommen. Drittens tun Arbeitgeber(innen) gut daran, die Mitarbeiter(innen) vor Ort zu haben. Die von einer Büroarchitektur geschaffene Arbeitsumgebung sorgt für eine Identifikation mit dem Unternehmen. Die physische Anwesenheit macht die Werte und Ziele des Unternehmens spürbar. Darauf werden die Unternehmen nicht verzichten. Unternehmen wie Yahoo, die mit ihrer Technologie mobiles Arbeiten überhaupt erst möglich gemacht haben, haben schon vor Jahren ihre Mitarbeiter(innen) aus dem Homeoffice zurückgeholt.

Quelle: Adobe Stock/Tierney

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