Prof. Dr. Kirs­ten Thom­mes im In­ter­view: „A­gi­les Ar­bei­ten als struk­tu­rier­te Form der Zu­sam­me­n­a­r­beit“

Teams statt Abteilungen, flache bis keine Hierarchien, eine moderne Arbeitsumgebung, kurze Projektlaufzeiten, alle Mitarbeitenden werden ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend mitgenommen: Dies sind einige der Merkmale, mit denen sich das sogenannte agile Arbeiten beschreiben lässt. Unternehmen sind heutzutage mehr denn je gefordert, sich in kurzer Zeit weiterzuentwickeln und zu verbessern. Durch agiles Arbeiten, Flexibilität statt Trägheit, Dynamik statt Unbeweglichkeit, sollen die Mitarbeitenden stärker in Prozesse eingebunden werden, um sich mehr mit den Werten und Visionen eines Unternehmens identifizieren zu können. Doch wie sollen Teams zusammengesetzt werden? Welche Kompetenzen sind für das gute Gelingen der Teamarbeit neben der fachlichen Kompetenz wichtig und wie können sie erhoben werden? Genau an diesem Punkt setzt das Projekt PredicTeams an. Das sowohl praktisch als auch wissenschaftlich innovative Projekt hat das Ziel, ein praxisorientiertes Framework für ein prädiktives, ein berechenbares, Kompetenzmanagement für agile Teams zu entwickeln, das Unternehmen in die Lage versetzen soll, den Übergang zu agiler Teamarbeit in digitalen Arbeitswelten zu bewältigen.

Agiles Arbeiten bedeutet für ein Unternehmen ein Umdenken der gesamten Organisation und Struktur. Unter welchen Voraussetzungen ist agiles Arbeiten überhaupt möglich?

Kirsten Thommes: Der neue Kontext digitaler Arbeitswelten setzt die Identifikation und Operationalisierung von Kompetenzen für agile Teamarbeit voraus. Agile Teams bilden somit den Antwortversuch von Unternehmen, um unter den neuen Rahmenbedingungen und Anforderungen von „New Work“ bestehen zu können. Agiles Arbeiten heißt dabei nicht nur „flexibel sein“ oder Arbeit „schneller zu erledigen“. Vielmehr ist agiles Arbeiten eine strukturierte Form der Zusammenarbeit, die es vielen Unternehmen abverlangt, bisher etablierte Unternehmens- und Prozessstrukturen und/oder Hierarchien zu hinterfragen. Allerdings gibt es Teamarbeit, insbesondere selbststeuernde Arbeitsgruppen, schon lange in Unternehmen, es wurde bislang nur nicht „agil“ genannt. Die Basisprinzipien sind allerdings dieselben. Dabei liegt in unserem Sinne agile Teamarbeit immer dann vor, wenn Mitarbeiterteams für die Dauer von Projekten die Arbeit selber strukturieren und die Aufgaben als Team lösen. Neu ist eigentlich nur, dass immer mehr Unternehmen in westlichen Industrienationen ihre Arbeit immer häufiger agil strukturieren.

Auf welche Herausforderungen stößt man bei der Gestaltung agiler Teams?

Thommes: Unternehmen mit agilen Teams, aber auch projektorientierte Unternehmen müssen ihre Teams regelmäßig neu bilden oder umbauen. Sie stehen dann vor der großen Frage, wie Projektteams zusammengestellt werden sollen, um vorhandene Kompetenzen optimal zu nutzen, Kompetenzentwicklung innerhalb von Teams zu fördern und mögliche Reibungsverluste durch Konflikte und Missverständnisse zu minimieren. Dabei kommt es vor allen Dingen auf das Zusammenspiel der verschiedenen Kompetenzen der einzelnen Teammitglieder an. Unternehmen, die digitale Arbeitswelten realisieren wollen, müssen wissen, welche Kompetenzen erforderlich sind, um in diesen neuartigen Kontexten erfolgreich zu sein. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob ein Team vielleicht sogar besser abschneidet, wenn nicht nur jeweils die fachlich Allerbesten zusammenarbeiten, sondern eines der Teammitglieder vielleicht fachlich Zweitbester ist, aber besondere soziale Kompetenzen einbringt. Es muss also geprüft werden, inwieweit identifizierte Kompetenzen über spezifische fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten hinaus, den individuellen Erfolg der Mitarbeitenden und den kollektiven Erfolg von Teams und des Unternehmens insgesamt entscheidend beeinflussen. Das beruht auf der intuitiven Annahme, dass es auf die spezifische Kombination von Kompetenzen ankommt und dass einige Kompetenzen notwendig und andere austauschbar sind. Häufig fehlt es an einer systematischen Zusammenstellung und einer Evaluation dieser Kompetenzen im Hinblick auf verschiedene unternehmerische Anwendungen. Das Projekt PredicTeams betrachtet daher existierende Kompetenzmodelle im Hinblick auf ihre Relevanz für agile Teamarbeit und beurteilt neue Kompetenzmodelle im Hinblick auf ihre Erfolgsrelevanz für die einzelnen Mitarbeiter(innen) und für das Unternehmen.

Eignet sich diese Art des Kompetenzmanagements für jedes Unternehmen, jede Branche?

Thommes: Ja. Das Problem liegt lediglich an dem Missverhältnis zwischen dem Bedarf und den zur Verfügung stehenden Lösungen. Dabei ist dies keineswegs nur ein Software-Problem oder ein Problem kleiner Datenmengen: Auch kleine und mittlere Unternehmen können ein Kompetenzmanagement mit hohem Nutzenpotenzial etablieren. Bislang sind leider die datengetriebenen Anwendungen im Human-Resources-Analytics überschaubar, weil häufig nicht die technischen Lösungen, sondern das Verständnis der Zusammenhänge fehlt. Genau dieses Defizit adressieren wir in PredicTeams, indem statistische Verfahren und neue Methoden zur Zusammenhangsanalyse im Sinne einer evidenzbasierten, prädiktiven Analyse genutzt werden. Dadurch können Unternehmen auf Personal-, Team- und Organisationsentwicklungsebene gleichermaßen profitieren.

Ziel des Projektes PredicTeams ist es, Unternehmen den Übergang hin zu agiler Teamarbeit in der digitalen Arbeitswelt zu ermöglichen. Welche Methoden werden Sie und Ihr Team dabei anwenden?

Thommes: Die Entwicklung eines praxisorientierten Frameworks für ein prädiktives Kompetenzmanagement für agile Teams setzt die Anwendung unterschiedlicher Methoden voraus. Im Projekt setzen wir dabei vor allen Dingen auf State-of-the-Art-Messinstrumente und -Methoden in der Personal- und Organisationsforschung in Kombination mit empirischer Methodik.

Neben der Identifikation wichtiger Kompetenzen soll das Verfahren der Kompetenzerfassung radikal vereinfacht werden, von einer einmal jährlich schriftlichen Stellungnahme zur laufenden Erhebung mittels Spracheinschätzung und Textanalyse. Wir versprechen uns davon, damit eine belastbare Basis für die Entwicklung von Modellen zum prädiktiven Kompetenzmanagement und zur zukunftsgerichteten Mitarbeiterauswahl für Teams zu entwickeln. Durch einen von uns abschließend erstellten Leitfaden für Unternehmen machen wir die Ergebnisse Unternehmen zugänglich und bieten ihnen somit die Möglichkeit einer effizienten Erhebung und Analyse von Kompetenzen, welche dem neusten Stand der Technik entsprechen. Die Ergebnisse und die geleistete Arbeit von PredicTeams wird Unternehmen dazu befähigen, statt einem verwaltenden Kompetenzmanagement in Zukunft ein prädiktives Kompetenzmanagement zu betreiben. Das ist dann sowohl praktisch als auch wissenschaftlich innovativ!

Was versteht man unter einem prädiktiven Kompetenzmanagement im Gegensatz zu einem verwaltenden Kompetenzmanagement?

Thommes: Ein verwaltendes Kompetenzmanagement befasst sich vornehmlich mit der vergangenheitsorientierten Erfassung von Wissen und Fähigkeiten. Bereits bestehende Kompetenzmanagementsysteme sind in diesem Fall in der Regel statisch. Das bedeutet, dass Kompetenzen in einem verwaltenden Kompetenzmanagement nicht aktualisiert werden und z.B. das „Verlernen von Kompetenzen“ nicht abgebildet wird, aber auch vor allem informelles Lernen nicht erfasst wird. Darüber hinaus mangelt es auch an der Erfassung von Wirkzusammenhängen zwischen Kompetenzen und Ergebnisvariablen auf Individual-, Team- und Unternehmensebene. Eine prädiktive, d.h. zukunftsgerichtete Analyse und Steuerung von Kompetenzen wird dadurch vernachlässigt.

Ein prädiktives Kompetenzmanagement erlaubt, mittels entsprechender Datenanalysen, hingegen zukunftsgerichtete Aussagen im Personalmanagement, etwa im Hinblick auf die Personalauswahl und das Management von Personalfluktuation. Ein zentraler Aspekt ist dabei die Prädiktion: die Anwendung von Zusammenhangsanalysen zwischen Variable und Vorhersage. Dadurch finden auch neue Anforderungen der aktuellen Kompetenzforschung, die sich aus flexiblen Arbeitsformen, Digitalisierung, Prozess- und Projektorientierung ergeben, Berücksichtigung.

Sie beschreiben das Projekt PredicTeams als sowohl praktisch als auch wissenschaftlich innovativ – wieso?

Thommes: Viele wissensintensive Unternehmen greifen die aus der Software-Branche stammenden agilen Arbeitsmethoden auf. Dabei geht es in Programmier-, Entwicklungs- und Forschungsteams oft darum, kundenorientiert und/oder mit unklaren Zielen die Kompetenzen verschiedener Personen produktiv miteinander zu kombinieren. Da agile Teams sich weitgehend selbst steuern, werden neben Fachkompetenzen auch Führungs- und (Selbst-)Managementkompetenzen der Mitarbeitenden erfolgskritisch und stellen einen Engpass dar, denn erst diese Kompetenzen erlauben eine verteilte Führung in Teams. Sie können auch nicht durch traditionelle Führung durch Vorgesetzte ersetzt werden, denn Vorgesetzte selbst müssen in der Projektarbeit ihre Rolle anpassen: Sie müssen stärker ermöglichen und moderieren, weniger anweisen und kontrollieren. Kompetenzen für die agile Teamarbeit werden dabei häufig in Projekten „on-the- job“ erworben. All dies erfordert ein Kompetenzmanagement, das auf die spezifischen Bedarfe agiler Teamarbeit abgestimmt ist – das jedoch mit vorhandenen Systemen und Software-Tools bislang kaum umzusetzen ist. Die Kompetenzen der Mitarbeitenden werden zwar heute schon in den meisten Unternehmen anhand von Wissens- oder Skill-Datenbanken erfasst und gepflegt. Bislang existiert jedoch kein umfassendes System, mit dem relevante Kompetenzen der Mitarbeitenden für agile Teamarbeit systematisch und effizient erfasst werden, um strategische und vor allem auch zukunftsorientierte Analysen zu ermöglichen. Betriebliche Anwendungssoftware zum Wissens- und Kompetenzmanagement geht aktuell an den Bedarfen der Unternehmen vorbei: Relevante Kompetenzen werden nicht valide erfasst, sondern eher pragmatisch anhand leicht kodierbarer Skills (z. B. Methodenkenntnisse und formale Qualifikationen) inventarisiert. Bei etablierten Instrumenten zur Kompetenzmessung ist noch unklar, ob diese die für agile Teamarbeit relevanten Skills abbilden. Informationen über Zusammenhänge zwischen spezifischen Kompetenzen und relevanten Erfolgsmaßen liegen häufig nicht vor.

Wissenschaftlich innovativ ist das Projekt, weil zum einen die Komposition von Metakompetenzen auf Teamebene betrachtet wird. Zum anderen werden neue Verfahren der Kompetenzmessung, weg von quantitativen Fragebögen, die häufig zu wenig aussagekräftigen Einschätzungen führen, und hin zu begleitenden, zeitsparenden verbalen Einschätzungen, die mittels Natural Language Processing (NLP) analysiert werden, entwickelt. Schließlich betrachten wir – anders als die bisherige Forschung – wie bestimmte Kompetenzbündel von Mitarbeitenden wirken und erweitern damit die lineare Kausallogik der Ursache-Wirkungsbeziehung.

Durch statistische Verfahren und neueste Methoden zur Zusammenhangsanalyse im Sinne einer evidenzbasierten, prädiktiven Analyse werden Unternehmen befähigt, Weiterqualifizierungen von Mitarbeitenden und die Zusammenstellung agiler Teams gegenwarts- und zukunftsorientiert zu steuern, und in die Lage versetzt, nicht nur gegenwartsorientiert, sondern prädiktiv ihre Kompetenz zu managen.

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