Der vor wenigen Monaten gestartete Datenraum Kultur bringt Kultureinrichtungen, Medien und Kreativwirtschaft sowie IT-Forschung zusammen. Das Ziel: Faire digitale Infrastrukturen zum Nutzen von Kulturinteressierten und Kulturschaffenden. Am 25. April kamen Personen aus über 90 Einrichtungen aus Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft im Münchner Amerikahaus zusammen. Sie sprachen über den Stand bei der Entwicklung von Pilot-Anwendungen und die nächsten Schritte des Datenraums Kultur.
Während der Corona-Pandemie war Kultur zeitweise nur digital verfügbar. Heute mischen sich Angebote von Mensch zu Mensch und digitale Angebote. Noch aber sind die Kulturschaffenden dabei auf die großen digitalen Plattformen angewiesen – die nicht nur Daten sondern auch Erlöse weitgehend monopolisieren.
Wie sich das ändern kann, wie digitale Kulturangebote von Städten, Kommunen und einzelnen Kultureinrichtungen interoperabel – also verknüpfbar – werden und wie Fairness und eine Vertrauenskultur im Internet entstehen kann: Diese Fragen prägten den Tag im Münchener Amerikahaus.
Dieter Spath (acatech und TÜV Rheinland) und Dirk Petrat (CDO BKM Hamburg) begrüßten die Gäste als Steuerkreisvorsitzende des Datenraums Kultur. Die kulturpolitische Bedeutung des Vorhabens unterstrichen die Grußworte: Andreas Görgen (Amtschef bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) erhofft sich einen spürbaren Anschub für die Modernisierung der Kultur und ihrer Förderung durch Bund und Länder. Carsten Brosda (Senator der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg) unterstrich, dass ein Datenraum Kultur belastbare technische Infrastrukturen braucht. Markus Blume (Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst) sieht im Datenraum die Chance, der Digitalisierung im gesellschaftlich verbindenden Kulturbereich Leitplanken zu setzen. Skadi Jennicke (Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig) hofft auf systematischen Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger.
acatech Präsident Jan Wörner erläuterte in seinem Impuls die Idee der Datenräume und ihren Nutzen für die Digitalisierung der Kultur. Das Geheimnis, also der Mehrwert eines Datenraums, liege in seiner dezentralen Struktur. In der traditionellen Plattformökonomie laufen Daten in einem Plattform-Unternehmen zusammen – und damit auch weite Teile der Erlöse dieser Daten. Datenräume kommen ohne zentrale Speicherung aus. Über sogenannte Konnektoren werden Daten verknüpfbar und für andere verwertbar – die Hoheit darüber bleibt aber bei den im Datenraum kooperierenden Akteurinnen und Akteuren. Jan Wörner verglich die Idee mit dem Bild einer Markthalle, in der verschiedenste Handelsleute ihre Spezialitäten anbieten.
Dezentrale Datenräume wahren Souveränität
Anschließend informierte Steuerkreisvorsitzender Dieter Spath über den Fortschritt des Projekts. Die bereits abgeschlossene Startphase habe zum Ziel gehabt, die Machbarkeit und die Mehrwerte des Datenraums Kultur zu demonstrieren. Entsprechend wurden zusammen mit Partnerorganisationen verschiedene Use Cases entwickelt. In der nun beginnenden zweiten Phase stehen die Evaluation und Reflexion der Erfahrungen an, bevor die digitale Infrastruktur ab Anfang 2025 breit für alle Kulturschaffenden und Kreativen zugänglich sein soll. Bis dahin werde man beim Datenraum Kultur weiterhin mit verschiedensten Akteuren und Akteurinnen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft zusammenarbeiten, um am Ende ein vertrauenswürdiges, faires und funktionierendes System zu entwickeln.
Die im Hauptteil der Veranstaltung vorgestellten Use Cases vermittelten einen Eindruck, was mit diesem System alles möglich sein wird.
Vernetzte Kulturplattformen
Ariane Schmitt-Chandon (OstWestfalenLippe GmbH) und Daniel Beverungen (Software Innovation Campus Paderborn) präsentierten die Kulturplattform „OWL live“. Sie wird personalisierte und situationsangepasste Veranstaltungsinformationen liefern. Vernetzte Kulturschaffende reduzieren so ihren redaktionellen Aufwand und erreichen überregionale Sichtbarkeit. Die Möglichkeiten des Austauschs und der Verknüpfung von Datenquellen werden genutzt, um einen Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer zu schaffen.
Smarte Dienste für multimediale Angebote im Museum
Anlässlich des 250. Geburtstags des Künstlers im Jahr 2024 initiiert die Hamburger Kunsthalle, in Kooperation mit der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine digitale Plattform mit multimedialen Angeboten, basierend auf dezentralen Quellen. Das von Katharina Hoins (Hamburger Kunsthalle) und Martin Zavesky (Staatliche Kunstsammlungen Dresden) präsentierte Vorhaben ermöglicht einen Blick auf das Werk Friedrichs, intelligent kuratiert und vielfältig, von Multimedia bis Gigapixel, von Open Access bis Pay-per-View. Die Plattform entsteht im Kontext des gemeinsam veranstalteten Caspar David Friedrich Festivals mit Jubiläumsausstellungen und Veranstaltungen.
Maßgeschneiderte Angebote für Theaterfreunde
Mit über 1000 Theatern, Orchestern und Festivals ist die Anzahl der Spielpläne, Dispositionsdaten und der ortsspezifischen Informationen groß. Der Mangel an Standards schmälert zudem Recherche- und Auswertungsmöglichkeiten. Tina Lorenz (Staatstheater Augsburg) und Sina Schmid (Deutscher Bühnenverein) führten gemeinsam aus, wie maschinenlesbare Theaterspielpläne Abhilfe schaffen. Effektivere Arbeitsprozesse in den Theatern und maßgeschneiderte Angebote für das Publikum werden möglich.
Plattform für gemeinsames Musizieren
Michael Petermann, Robert Biesewig (beide Hamburger Konservatorium) und Sebastian Riegelbauer (Sirius Music Communication GmbH) brachten den finalen Use Case auf die Bühne: einen digitalen Marktplatz für Musik. Musiklehrerinnen und -lehrer sollen dort mit Schülerinnen und Schülern in Echtzeit digital musizieren können. Später wird die Plattform um vielfältige Angebote ergänzt und zu einer Musikcommunity auf nationaler und internationaler Ebene weiterentwickelt.
Eine evolutionsfähige Infrastruktur
Vor der Mittagspause gaben Matthias Jarke (Institutsleiter i.R. Fraunhofer FIT und Vorsitzender des technischen Ausschusses des Datenraum Kultur) sowie Constanze Ritzmann (Fraunhofer FIT) Einblick in Nutzeroberfläche und Funktionalität des Datenraums. Es handele sich dabei um eine skalierbare Infrastruktur mit selektiv zugänglichen Datenanbieter-Systemen; bei der Entwicklung habe man auf die Erfahrungen beim Aufbau des Mobility Data Space zurückgegriffen. Die Integration bestehender Systeme wie GEMA und VG Wort in das System sei angedacht. Die Basistechnologie werde fortlaufend weiterentwickelt und schrittweise quelloffen bereitgestellt.
Ein Höhepunkt des Tages war eine lebendige Podiumsdiskussion nach der Mittagspause, moderiert von Dieter Spath. Wiebke Ahrndt (Präsidentin des Deutschen Museumsbunds) betonte darin die große Heterogenität der über 7.000 Museen in Deutschland und verlieh ihrem Wunsch Ausdruck, dass sich trotz dieser Vielfalt ein gemeinsamer Fokus auf die Digitalisierung entwickeln müsse. Meinolf Ellers (dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH) teilte seine Erfahrungen mit Datenraum-Technologien im Mediensektor und Kemal Görgülü (CTO ARTE) plädierte dafür, das Medien-Ökosystem künftig stärker europäisch zu denken und Startups die Möglichkeit zu geben, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Boris Kochan, Delegierter der k3d im Steuerkreis des Datenraum Kultur, sah die Chancen des Datenraums im Zusammenspiel einer großen Anzahl von kleinen und großen Initiativen unter der Prämisse, Werte zu erhalten und die Rechte der Künstler zu achten.
Datenräume – Schlüssel einer neuen Datenökonomie
In seinem Abschlusswort betonte acatech Geschäftsführer Manfred Rauhmeier die Bedeutung der Datenräume. Sie ermöglichen innovative Anwendungen unter Wahrung digitaler Souveränität. Der von acatech initiierte Mobility Data Space diene als Referenzmodell und Katalysator für den Aufbau weiterer Datenräume. Aktuell seien eine Vielzahl chancenreicher Vorhaben in der Entwicklung, unter anderem für Archive und Medien. Auf diesem Referenzmodell basierende Datenräume ermöglichen das selbstbestimmte und sichere Teilen von Daten nach europäischen Rechts- und Wertvorstellungen und im Einklang mit dem Data Governance Act der EU. Manfred Rauhmeier unterstrich: auf dieser Basis könne sich eine Vertrauenskultur im Internet und damit eine wettbewerbsfähige Datenökonomie in Deutschland und Europa entwickeln.
Ausblick
Projektsprecher Dieter Spath und acatech Geschäftsführer Manfred Rauhmeier kündigten die Gründung einer neuen Trägergesellschaft an. Sie wird den Aufbau und die Gewinnung weiterer Partner als neutraler Mittler betreiben, um die erfolgreiche Umsetzung des Datenraum Kultur zu gewährleisten. Durch die neu etablierte Struktur wird nicht nur die digitale Souveränität gestärkt, sondern auch die Grundlage für neue datenbasierte Geschäftsmodelle geschaffen.
Weiterführende Informationen:
Interview zum Datenraum Kultur: 3 Fragen an acatech Geschäftsführer Manfred Rauhmeier