Komplizierte Konstruktionspläne werden per Knopfdruck vom Computer auf die Fertigungsmaschine übertragen. Roboter transportieren Fertigungsteile von einer Maschine zur nächsten und standardisierte Software-Schnittstellen lassen Maschinen unterschiedlicher Hersteller miteinander „sprechen“: Industrie 4.0 gilt als neue digitale und vollautomatisierte Wunderwelt. Aber was ist mit den Betrieben, die ihren Maschinenpark und ihre Mitarbeiterschaft fit machen müssen?
„Als digitale Modellregion sehen wir es auch als unsere Aufgabe, den digitalen Fortschritt in die Betriebe zu bringen und ihnen somit zu helfen, stark und wettbewerbsfähig zu bleiben“, bekräftigt Landrat Manfred Müller. Aus diesem Grund wird das technische Richard-von Weizsäcker Berufskolleg in Paderborn zu einem vollautomatisierten Maschinenbau-Lernbetrieb ausgebaut.
Damit die innovative Idee des Maschinenbaulernbetriebes an den Start gehen kann, übergab die Bezirksregierung Detmold zwei Bescheide über eine Förderung von insgesamt 535.253 Euro an den Kreis Paderborn. Die technische Ausstattung des Maschinenbau-Lernbetriebs wird mit 444.450 Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert, während die Unterstützung der wissenschaftlichen Begleitung durch die Universität Paderborn 90.803 Euro aus der Förderung der Digitalen Modellregionen durch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen beträgt. Zusätzlich investiert der Kreis Paderborn weitere 467.150 Euro in das Gesamtprojekt. Mit Hilfe der Förderung wird unter anderem eine elf Jahre alte CNC-Fräsmaschine, die zum Beispiel zur Bildung der Industrie-, Zerspanungs- und Werkzeugmechaniker oder Maschinenbautechniker in spe genutzt wird, für den Fünf-Achs-Betrieb samt Simulationssoftware aufgerüstet. Außerdem wird das Berufskolleg eine neue CNC-Drehfräsmaschine, die dem neusten Stand der Technik entspricht, anschaffen. „Genau mit diesem Mix aus alt und neu, von verschiedenen Herstellern und durch eigene Bauelemente und Schnittstellenprogrammierungen ergänzt, entspricht unser Maschinenbaulernbetrieb dem, was unsere Lernenden auch in den Betrieben vorfinden“, erklärt Schulleiterin Alexandra Hubenthal. Alleine eine neue CNC-Drehmaschine, wie sie auch das Richard-von-Weizsäcker-Berufskolleg bekommt, kostet rund 380.000 Euro. „Das ist eine Investitionssumme, die sich jeder Betrieb mit 20 oder 30 Beschäftigten gut überlegen muss“, so Schulleiterin Hubenthal. Die realitätsnahe Bildung ist ein Herausstellungsmerkmal des Maschinenbau-Lernbetriebes am Richard-Weizsäcker-Berufskolleg. Dadurch bildet es Facharbeiter, Gymnasiasten und Fachhochschulreifeabsolvent aus, wie der regionale Markt sie braucht. Gleichzeitig profitieren die Betriebe aber auch durch das Wissen, dass die BK-Absolventen mitbringen. „Die Schülerinnen und Schüler lernen hier Industrie 4.0 auf dem neuesten Stand der Technik. Mit diesem Wissen gehen sie in die Betriebe und werden dort Impulsgeber für die Digitalisierung“, betont Landrat Müller.
Der Maschinenbaulernbetrieb am Berufskolleg ist ein Projekt der Digitalen Modellregion des Kreises und der Stadt Paderborn sowie der Städte Delbrück und Bielefeld. Es wird bei der Umsetzung eng von der Universität Paderborn im SICP – Software Innovation Campus Paderborn begleitet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen die Lehrkräfte des Berufskollegs bei der Weiterentwicklung der didaktischen Konzepte und Evaluieren den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. „Eine wichtige Besonderheit des automatisierten Maschinenbaulernbetriebs 4.0 ist, so wie er hier realisiert wird, dass nicht ein komplett neuer Maschinenpark angeschafft wird, sondern vorhandene Maschinen bedarfsgerecht aufgerüstet, teilweise durch neue Maschinen ergänzt und um digitale Lösungen, zum Beispiel CAD-Entwurfswerkzeuge und Simulatoren, ergänzt werden", betont Dr. Stefan Sauer, Geschäftsführer im SICP, ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des Vorhabens. „Der notwendige Retrofit der vorhandenen Maschinen für die Digitalisierung, die Heterogenität der Anlagen und die notwendige Umstellung auf standardisierte Protokolle wie OPC-UA spiegeln dabei realistisch die Situation gerade in kleineren und mittelgroßen Betrieben der Region wider, für die das Richard-von-Weizsäcker-Berufskolleg vorrangig ausbildet. Somit werden die Schülerinnen und Schüler besonders gut für die betrieblichen Herausforderungen in der Praxis vorbereitet", ergänzt Dr. Sauer.
Ziel der wissenschaftlichen Begleitung ist es, die aus dem Modellprojekt gewonnen Erkenntnisse NRW-weit auf weitere Berufskollegs und Allgemeinbildende Schulen zu übertragen. Außerdem wird über die Universität eine Kooperation mit dem coolMINT-Schülerlabor der Universität Paderborn und dem Heinz Nixdorf MuseumsForum angestrebt, damit Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I als Ferienaktion oder Klassenbesuch im Richard-von-Weizsäcker-Berufskolleg ihr Interesse für technische Fächer entdecken und vertiefen können.